25 Jahre Fachhochschulen – ein Blick auf die Anfänge

1997 haben in der Schweiz die ersten sieben Fachhochschulen ihren Betrieb aufgenommen. Heute sind deren neun akkreditiert und bieten Bachelor- und Masterstudiengänge in 15 Fachrichtungen an. Hinzu kommen 17 Pädagogische Hochschulen mit anerkannten Studiengängen im Bereich Pädagogik. Im Studienjahr 2020 waren 106’800 Studierende in diesen beiden Studienstufen eingeschrieben. Wie ist vor einem Vierteljahrhundert dieser für die Schweiz neue Hochschultypus entstanden und welche Nachwirkungen hat diese Vorgeschichte auf die heutige Stellung der FH in der Hochschullandschaft?

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Die Ausgangslage

Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Fachhochschulen Ende der 1960er Jahre vor allem zur Bewältigung des sogenannten ‘Abiturientenberges’ errichtet wurden, liegen den schweizerischen Fachhochschulen je nach Studienrichtungen unterschiedliche Begründungen und Forderungen zugrunde. So ging es etwa bei den Höheren Technischen Lehranstalten HTL vorab um die Anerkennung der Diplome im Ausland, die Ergänzung des Leistungsauftrages durch Forschung und Technologietransfer sowie den Ausbau der Studienplätze. Bei den höheren Ausbildungen in Musik und Kunst stand hingegen eine faktische Anerkennung und die Finanzierung der Ausbildung für professionelle Künstler/innen im Vordergrund. Das Hauptanliegen bei den Höheren Fachschulen im Sozialbereich HFS war die bildungsstrukturelle Positionierung und damit die finanzielle Absicherung, während die Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen HWV eigentlich mit ihrem Status und der Finanzierung zufrieden waren. Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer hatten wiederum innerschweizerische Anliegen: die interkantonale Anerkennung der Lehrdiplome einerseits und die Positionierung auf einer einheitlichen Bildungsstufe und damit zusammenhängend die Regelung des Zugangs andererseits.

 

Erste Anregungen

Diese (verkürzte) Aufzählung der Ausgangslagen und Forderungen der Schulen, die man als höhere Ausbildungen bezeichnete, weist darauf hin, dass auf politischer Ebene ganz unterschiedliche Instanzen beteiligt waren und man nicht von einem Gesamtkonzept sprechen konnte. Der Schweizerische Wissenschaftsrat hat bereits früh darauf hingewiesen, dass man den ausseruniversitären Tertiärbereich neu regeln und den Vorläufern der Fachhochschulen Perspektiven geben sollte. Er untersuchte 1978, ob diese Schulen für die wachsende Zahl von Maturand/innen eine Alternative zu einem Studium an einer Universität sein könnten. Eine realistische und zahlenmässig ins Gewicht fallende Möglichkeit sah er jedoch nicht.

Da es in der Schweiz keine Instanz gab, die sich für eine ganzheitliche Bildungspolitik zuständig fühlte, gab es auch keine direkten Adressaten für übergeordnete Forderungen. Der Wissenschaftsrat war zu dieser Zeit das Organ, das strategische Planungen für den universitären Bereich für das Departement des Innern machte. Dieses war jedoch nicht zuständig für die Berufsbildung. Für die Ausbildungen in den Bereichen Technik, Industrie, Gewerbe war das Volkswirtschaftsdepartement mit seinem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit BIGA verantwortlich. Bei den anderen Ausbildungsbereichen fühlten sich unterschiedliche Regierungskonferenzen der Kantone zuständig.

Die Erziehungsdirektorenkonferenz EDK war bis anfangs der 80er Jahre praktisch handlungsunfähig, da die Umsetzung des Konkordates von 1970, das in verschiedenen Bereichen eine entwicklungsfähige Harmonisierung gebracht hätte, durch Volksabstimmungen in einigen Kantonen blockiert wurde. Erst 1985, nachdem die angeblich eminent wichtige Frage des Schulanfangs in allen Kantonen durch einen Artikel in der Bundesverfassung geregelt wurde, konnte die EDK die Blockade überwinden. Moritz Arnet, seit 1984 amtierender Generalsekretär, war es dann vorbehalten, die Rolle der EDK neu zur Diskussion zu stellen und sie als die für Bildung und Ausbildung zuständige Instanz auf kantonaler Ebene zu etablieren. Aufgrund seiner Kontakte mit anderen Ländern im Rahmen der OECD und des Europarates setzte sich Arnet stark dafür ein, dass die Schweiz den Tertiärbereich neu regelt.

 

Bedarf nach Forschung und Dienstleistungen für KMU

In dieser Gemengelage der Zuständigkeiten sind drei weitere Impulse von aussen zu vermerken, die beigetragen haben, dass aus Anregungen und Forderungen die Neuregelung des ausseruniversitären Tertiärbereichs konkretisiert wurde. Zum einen stellte das Bundesamt für Konjunkturfragen fest, dass die Schweizer Industrie den Anschluss an die Entwicklung im Technologiebereich verpasst hatte und initiierte dazu Programme zur Technologieförderung. Vor allem die Programme CIM und Microsuisse wurden mit dem Fokus aufgegleist, die Höheren Technischen Lehranstalten HTL zu ermöglichen, ihre fachlichen Kompetenzen zu erweitern und in Projekte in Zusammenarbeit mit Unternehmen umzusetzen. Diese Programme waren zentral, um die HTL nicht allein als Ausbildungsstätten, sondern auch als Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen zu etablieren. Einen zweiten Anstoss gab ein Gutachten der OECD zur schweizerischen Bildungspolitik, welches die EDK 1989 erstellen liess und das auf Schwachstellen hinwies. Und ein dritter Impuls kam aus den Diskussionen zu einem Beitritt der Schweiz zum EWR.

 

Die HTL als Frontrunner

Auch die Schulen der einzelnen Fachbereiche waren sich zunächst nicht einig, wohin die Entwicklung gehen sollte. Für die HTL kam die Diskussion erst in Fahrt, als die Direktorenkonferenz der Ingenieurschulen DIS 1990 dem Bundesrat Forderungen in einem Thesenpapier direkt unterbreitete. Diese Forderungen, auf die sich die Tages-HTL, die Abend-HTL und die landwirtschaftlichen HTL einigten, betrafen zwar nur die Höheren Fachschulen im technischen Bereich, sie waren jedoch weitgehend anwendbar für andere Fachgebiete. Verschiedene Direktorenkonferenzen erarbeiteten in der Folge für ihren Fachbereich entsprechende Planungspapiere, die insbesondere die Funktion hatten, die Mitglieder auf eine gemeinsame Position zu verpflichten.

Das Thesenpapier der HTL war der letzte Anstoss, Reformen im ausseruniversitären Tertiärbereich konkret an die Hand zu nehmen. Dies geschah zuerst in Form einer interdepartementalen Arbeitsgruppe für eine Analyse dieses Bildungsbereichs, dann durch den Auftrag von Bundesrat Delamuraz zur Erarbeitung eines Fachhochschulgesetzes und der Regelung des Zuganges über eine neu entwickelte Berufsmatura.

Um keine Zeit mit der Klärung von verfassungsrechtlichen Fragen zu verlieren, einigte man sich, dass der Bund und die Kantone für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Planungsgrundlagen erarbeiten sollten. Für die EDK wurde durch die Arbeitsgruppe Fachhochschulen unter der Leitung des St. Galler Erziehungsdirektors Hans Ulrich Stöckling zuerst ein Thesenpapier zu Fachhochschulen und Berufsmaturitäten verfasst, das auch die Lehrerbildung berücksichtigte. Dann wurden für die einzelnen Fachbereiche Profile entwickelt, die Auskunft gaben zu den Lehrinhalten, zur Zulassung und den Anforderungen an die Lehrkräfte.

 

Begleitung des Aufbaus der FH durch den Wissenschaftsrat

Der Schweizerische Wissenschaftsrat war als einzige Stimme der universitären Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung in den Gremien der FH-Entwicklung vertreten und brachte 1992 seine Haltung mit einem Thesenpapier zu Reformen der nachobligatorischen Ausbildung ein. Da es in der Schweiz keine Bildungsforschung für den Tertiärbereich gab, erfolgte die Planung der Fachhochschule ohne eigentliche wissenschaftliche Begleitung. Immerhin lancierte der Wissenschaftsrat Studien zum Forschungsstand und der Weiterentwicklung der Fachbereiche Soziale Arbeit, Musik, Gesundheit und Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Weitere Arbeitspapiere entstanden zur organisatorischen Integration von Forschung und Entwicklung und zu Kooperation und Interdisziplinarität. Die Wissenschaft beteiligte sich ansonsten nicht an der Entwicklung der FH. Mit den beiden programmatischen Slogans ‘gleichwertig, aber andersartig’ und ’Grundlagenforschung vs. anwendungsorientierte Forschung’ gab man sich zufrieden, wobei die Universitäten insbesondere die Andersartigkeit betonten, während die FH eher auf die Gleichwertigkeit setzten. Bei den Universitäten war man darauf bedacht, dass die FH keine ernsthafte Konkurrenz bei der Vergabe der Mittel des SNF darstellten und sie den Begriff ‘Universität’ in keiner Form verwenden. Letzteres wurde dann allerdings nicht eingehalten.

Das Hauptgewicht des Wissenschaftsrates lag jedoch immer bei den Universitäten. Der Einsitz für die Fachhochschulen erfolgte eher auf einem Nebengleis im ‘Leitungsausschuss Hochschulbildung’. Nachdem klar wurde, dass der FH-Zug erfolgreich gestartet war, hielt der Ausschuss 1993 einseitig fest, dass die Fachhochschulen in seinen ‘Reflexions- und Konzeptionsbereich’ gehören. Fünf Jahre später wurde dann der erste Wissenschaftsrat aus einer Fachhochschule berufen.

 

Das Fachhochschulgesetz und seine Umsetzung

Das Fachhochschulgesetz des Bundes wurde 1995 von den beiden Räten verabschiedet. 1996 trat das Bundesgesetz in Kraft, 1997 starteten Fachhochschulen in sieben FH-Regionen. 1998 wurden sie nach einer Begutachtung durch die Eidgenössische Fachhochschulkommission EFHK vom Bundesrat rückwirkend provisorisch anerkannt. Die definitive Anerkennung erfolgte 2003 nach einer Überprüfung der Studiengänge und der Governance durch eine Peer Review resp. die EFHK. 2003 wurde das FH-Gesetz überarbeitet, sodass auch die FH Bachelor- und Masterstudiengänge gemäss der Bologna-Deklaration anbieten konnten. 2006 wurden alle FH-Studiengänge in die Regelungskompetenz des Bundes überführt. Die Aufteilung der Kompetenzen beim Bund – für die Universitäten war das Departement des Innern und für die Fachhochschulen das Volkswirtschaftsdepartement zuständig – wurde 2012 durch die Bildung eines Departementes für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF und der Verabschiedung des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes HFKG überwunden.

 

Langzeitfolgen

Diese verschlungene Entwicklung der Fachhochschulen hat bis jetzt Auswirkungen im Hochschulalltag. Die Entstehung aus Vorgängerschulen, die miteinander kaum in Kontakt standen und je eigene Biotope bildeten, ist auch heute noch erkennbar in der Äquidistanz, die die Fachbereiche untereinander haben. Auch das Fremdeln zwischen universitären Hochschulen und Fachhochschulen ist ein Relikt von früher.

Der Begriff FH umfasst in der schweizerischen Form ganz verschiedene Fachbereiche und passt eigentlich nicht für Disziplinen wie Musik und Kunst. Diese sind in Deutschland, Österreich oder Frankreich eigene Hochschultypen oder in Universitäten integriert. Die Pädagogischen Hochschulen auf der anderen Seite tun sich schwer, sich in FH einzugliedern und sehen sich mehr als Hochschultypus sui generis.

Weitere Relikte aus den Anfängen der FH sind die unterschiedliche Regelungsdichte und die Finanzierung von Universitäten und Fachhochschulen im HFKG oder die teils selbst deklarierte, teils von aussen zugeschriebene Ausrichtung (Universitäten – internationale scientific community vs. Fachhochschulen regionale Wirtschaft und Gesellschaft).

 

 

 

Literatur zu den Anfängen der Fachhochschulen:
von Matt Hans-Kaspar (2022), Die Schweizerischen Fachhochschulen: eine Biografie. Geschichte und Geschichten über die Bildung eines neuen Hochschultypus. Bielefeld, UniversitätsVerlagWebler.

 

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