«Wenn Wissenschaft und Bevölkerung sich vermehrt austauschen, werden Ängste und Vorbehalte schwinden»
Markus Kern ist neues Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats SWR. Der Jurist von der Universität Bern freut sich auf den Disziplinen überschreitenden Dialog und auf noch mehr Kontakte mit Politik und Verwaltung.
Herr Kern, Glückwunsch zur Wahl in den Schweizerischen Wissenschaftsrat SWR! Was erhoffen Sie sich von Ihrer neuen Aufgabe?
Vieles! Ich möchte mich mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen austauschen und die Grenzen meiner Wissenschaft überschreiten. Ferner erhoffe ich mir, dass ich zum Dialog zwischen Wissenschaft und öffentlicher Hand beitragen kann, wobei ich mir das als Jurist ein Stück weit gewohnt bin. Schliesslich wünsche ich mir, dass die Wissenschaften in der Mitte der Gesellschaft stehen. Sie dürfen sich nicht von der nicht-akademischen Welt abkoppeln.
Wissenschaft und Politik sind unterschiedliche, ja gegensätzliche Felder. Wie sehen Sie das Verhältnis?
Im öffentlichen Recht, in meiner Domäne, sind die Kontakte zur Politik und mehr noch zur Verwaltung tägliches Brot. Es geht oft um die Konzipierung der Mechanik des Rechts oder um die Legistik, also darum, die Rechtslandschaft verständlich, sinnvoll und kohärent zu gestalten. Auch Private melden sich bei uns, zum Beispiel wenn sie eine Volksinitiative lancieren: Sie wollen wissen, ob der Initiativtext korrekt formuliert ist. Ich glaube, die Schweiz ist in dieser Hinsicht ein Spezialfall: Weil das Land kleinräumig ist und man sich von der Arbeit in den Milizgremien kennt, bestehen viele informelle Kontakte zwischen den unterschiedlichen Feldern. Grundsätzlich begrüsse ich das. Leider ist das Milizsystem am Erodieren. Darum brauchen wir neue institutionelle Gefässe für den Austausch. Das ist eine der Lektionen der Pandemiekrise. Der SWR ist also wichtiger denn je.
Was ist, wenn man sich zu gut kennt in den einschlägigen Gremien – Stichwort Klüngelei?
In der Tat, unser Land ist auf der Basis korporatistischer Strukturen entstanden. Das hat zu einer Gegenreaktion geführt: der Elitenskepsis und dem Misstrauen gegenüber dem, was «die in Bern oben» tun. Dieses Korrektiv funktioniert. Das Milizsystem stützt indes die gegenseitige Offenheit von Wissenschaft und Politik beziehungsweise Verwaltung – man darf nicht vergessen, dass die Verwaltung ungemein prägend ist, auch wenn sie im Schatten der Politik steht. Der Austausch zwingt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich mit Problemen zu beschäftigen, die über ihre spezifischen Fachinteressen hinausgehen und das Gemeinwesen betreffen. Im Idealfall findet dieser Kontakt bereits auf Kantons- oder Gemeindeebene statt.
Gemäss Wissenschaftsbarometer vertraut die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung den Wissenschaften. Rund ein Fünftel ist allerdings der Ansicht, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft steckten unter einer Decke. Finden Sie dieses Ergebnis beunruhigend?
Ob zwanzig Prozent international gesehen viel oder wenig sind, kann ich nicht beurteilen, aber auf jeden Fall sollte das Ergebnis zu denken geben. Es ist nicht gut, wenn ein Teil der Bevölkerung davon ausgeht, die Politik sei ein abgekartetes Spiel. Das zeigt, dass das Vertrauen fehlt. Darauf müssen wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler reagieren und vermehrt den Dialog mit den Medien und der Öffentlichkeit suchen, und sei es auch nur im Gespräch an der Ladentheke. Wir müssen unser Wissen vulgarisieren und in einfacher Form weitergeben, zum Beispiel, indem wir öffentlich auftreten oder auch einmal ein Lehrmittel mitgestalten oder an Schulen von unserer Tätigkeit berichten. Wenn Wissenschaft und Bevölkerung sich vermehrt austauschen, werden Ängste und Vorbehalte schwinden. Der Dialog kann unangenehm sein, aber man muss sich ihm stellen.
Als Dissertant arbeiteten Sie bei den SBB. Was haben Sie dort gelernt?
Viel mehr, als ich je gedacht hätte! Das Wichtigste: Bei der Rechtssetzung strategisch vorzugehen. Die besten Pläne waren nutzlos, wenn es uns nicht gelang, erst die Managerebene und anschliessend die Politik ins Boot zu holen. Das war zuweilen mühsam, aber unumgänglich.
Und mit Blick auf die Wissenschaften?
In der Wissenschaftswelt hatte ich oft den Eindruck, dass sich viele Akteurinnen und Akteure mit wenigen Problemen beschäftigen. Oft ist Redundanz im Spiel. Bei den Fragen des öffentlichen Verkehrs war es gerade umgekehrt: Es gab viele Probleme, aber kaum eine Juristin oder ein Jurist kümmerte sich darum. Was ich auch gelernt habe: Ein juristischer Text muss adressatengerecht formuliert sein, wie es so schön heisst. Wenn sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fast ausschliesslich in ihren Kreisen bewegen und lediglich unter sich kommunizieren, kommt dies der Verständlichkeit ihrer Äusserungen nicht zugute.
Markus Kern ist Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Bern und Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats SWR. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universitäten Freiburg i.Ue. und Panthéon-Assas in Paris, ab 2005 zusätzlich Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern, während er in Freiburg als Assistent im Staats- und Verwaltungsrecht arbeitete. Danach forschte er an der Harvard Law School und am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Ab 2012 war Kern als Oberassistent am Institut für Europarecht in Freiburg tätig, bevor er 2017 Assistenzprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Bern wurde.