Die bedenkliche Bürokratisierung der Forschung am Beispiel von Swissmedic

Regulation und Bürokratie nehmen, wie in vielen Bereichen, so auch in der Forschung massiv zu. Konnten klinische Studien am Patienten vor zehn Jahren noch innerhalb weniger Wochen nach Idee und Protokollerstellung begonnen werden, braucht es heute standardisierte Eingaben bei der Ethikkommission, umfangreiche Patienteninformationen und bei Medikamentenstudien zusätzlich eine Begutachtung durch Swissmedic. Dies führt dazu, dass es mittlerweile – gemäss eigener Erfahrung – mindestens ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr dauert, bis mit einer klinischen Studie tatsächlich begonnen werden kann.

Es ist unbestritten, dass Patientensicherheit und -rechte bei sämtlichen klinischen Studien allerhöchste Priorität haben müssen. Folglich ist es essentiell, dass Patientinnen und Patienten umfassend über die Studie aufgeklärt werden und mündig entscheiden können, ob sie teilnehmen möchten, selbstverständlich ohne dass ihnen für die medizinische Routine-Behandlung Nachteile entstehen.

Hierzu obliegt es Swissmedic einerseits, die zu verabreichenden Medikamente zu kontrollieren, andererseits über die Einhaltung sogenannter “good clinical practice“ (GCP)-Kriterien in den Studienzentren zu wachen. Dies wird durch Inspektionen gewährleistet, welche zum Ziel haben, die Patientensicherheit zu erhöhen und die Qualität der Forschung in der Schweiz weiter zu verbessern.

Aber wird dieses Ziel erreicht?

Die Anzahl der Inspektionen haben in der letzten Zeit deutlich zugenommen. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Zunahme unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass aufgrund des neuen Humanforschungsgesetzes, welches gewisse Aufgaben von der Swissmedic auf die Ethikkommissionen übertragen hat, personelle Ressourcen bei Swissmedic freigeworden sind.

Schaut man sich an, was bei den Inspektionen tatsächlich überprüft wird, so stellt man fest, dass hauptsächlich die Dokumentation und Standardisierung von Abläufen überprüft und eingefordert werden. Hierbei werden sogar für alltägliche Massnahmen (wie zum Beispiel tägliche Studienbesprechungen oder das Lesen des Studienprotokolls) ausführliche Prozessbeschreibungen – sogenannte SOP (standard operating procedures) verlangt. Die Konsequenz ist eine massive Bürokratisierung und Standardisierung jedes einzelnen Schrittes in der Forschung. Die Dokumentation selbstverständlicher Arbeitsschritte – denn welcher Forscher liest das eigene Studienprotokoll nicht? – führt zu einem grossen zeitlichen und personellen Mehraufwand. Die zunehmende Bürokratisierung und Standardisierung entspricht allerdings genau dem Gegenteil dessen, was innovative und qualitativ hochstehende Forschung und Wissenschaft fördert!

Bedenklich ist auch die Gleichsetzung sämtlicher klinischer Studien und deren Initiatoren. Während in der akademischen Forschung typischerweise Medikamente mit bekanntem Nebenwirkungsprofil in einer neuen Indikation untersucht werden, setzt Swissmedic hier dieselben Massstäbe an wie bei einer „first in human“-Studie der Pharmaindustrie, welche mit einem vergleichsweise deutlich höheren Risiko einhergehen.

Erschwerend kommt hinzu, dass den Forschenden von Swissmedic diverse neue regulatorische Hürden vorgesetzt werden. Für den Nachwuchs in klinischer Forschung, der laut einer nationalen Strategie (https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/berufe-im-gesundheitswesen/medizinalberufe/plattform-zukunft-aerztliche-bildung/nachwuchs-klinische-forschung-ch.html) prioritär gefördert werden soll, ist dies äusserst demotivierend und hält ihn vielmehr von der klinischen Forschung ab.

Den Abschluss der Inspektionen, die – wie aufgezeigt wurde – immens viel bürokratischen Mehraufwand über Monate bedeuten, bildet für die Forschenden eine Rechnung in Höhe von 20-30’000 CHF, die zeitlichen und personellen Ressourcen nicht mit eingerechnet. Es versteht sich von selbst, dass dieser Betrag, der aus den Forschungsmitteln genommen werden muss, wiederum bei anderen Studien fehlt. Dass es sich dabei um staatliche Gelder handelt, sollte von den Verantwortlichen ebenfalls bedacht werden.

Zusammenfassend ist es sehr fraglich, ob durch die derzeitige Praktik der Inspektionen tatsächlich die Qualität und Sicherheit klinischer Studien verbessert wird, oder ob durch die gesteigerte Bürokratisierung der Forschungsstandort Schweiz im internationalen Vergleich unattraktiver und ineffizienter wird. Insofern erscheint es unabdingbar, dass die derzeitige Praktik in einem Prozess mit allen Stakeholdern überdacht und angepasst wird.