Forschungs- und Innovationsplatz Schweiz: Weichenstellung für die Zukunft
Am 11. September 2024 fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Science after Noon» ein Podiumsgespräch mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik statt. Diskutiert wurde über die Zukunft von Forschung und Innovation vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen. Dazu gehören die laufenden Finanzierungsdebatten, die Beziehung zu Europa sowie die Frage, wie Firmen in der Schweiz optimal unterstützt werden können.
Einmal im Jahr organisieren die Akademien der Wissenschaften Schweiz und der Schweizerische Wissenschaftsrat SWR gemeinsam eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe «Science after Noon». Bei der aktuellen Ausgabe ging es um eine Grundsatzdiskussion über die Zukunft des schweizerischen Forschungs- und Innovationssystems. Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt werden können, machte Lukas Zollinger, Leiter der Geschäftsstelle des SWR, in seiner Einleitung klar: In der laufenden Herbstsession des Parlaments wird die Finanzierungsbotschaft für Bildung, Forschung und Innovation für die Jahre 2025–2028 behandelt. Hierzulande stehen die Vorzeichen auf Sparen; beispielhaft dafür ist ein kürzlich veröffentlichter Expert:innenbericht rund um den Ökonomen Serge Gaillard. Auf europäischer Ebene hingegen fordert der vormalige italienische Ministerpräsident Mario Draghi massive Investitionen in Innovation und Industrie. Wie ist mit diesem Spannungsverhältnis umzugehen?
Für Yves Flückiger, Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz und Moderator des Anlasses, ist der hiesige Forschungs- und Innovationsplatz ein «Bijou». Die Schweiz stehe in einschlägigen Rankings regelmässig auf den vordersten Plätzen und stelle ihre Wettbewerbsfähigkeit international unter Beweis. Hier knüpfte Laetitia Philippe vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI an: Es brauche keine Revolution, sondern eine Evolution des bestehenden Systems. Sabine Süsstrunk, Präsidentin des Schweizerischen Wissenschaftsrates SWR, hingegen warnte: Der aktuelle Erfolg der Schweiz gehe auf grosszügige Investitionen der Vergangenheit zurück. Sollten die Mittel stagnieren oder gar zurückgehen, so sei in einigen Jahren ein negativer Effekt vorprogrammiert. Überhaupt sei der return on investment im Bereich Forschung und Innovation hoch: Jeder investierte Franken bringe ein Vielfaches an Wertschöpfung zurück.
Gerhard Andrey, Unternehmer und Nationalrat der Grünen Partei, plädierte für ein stärkeres Gewicht der Politik im Hinblick auf die thematische Steuerung von Forschung und Innovation. Wenn ein Parlament die Möglichkeit habe, grosse gesellschaftliche Herausforderungen zu identifizieren und entsprechende Zielvorgaben zu machen, so sei das ein «zivilisatorischer Fortschritt». Die Akteure aus Wissenschaft und Innovation sollten dann darüber entscheiden, wie diese Ziele am besten zu erreichen sind. Gemäss Andrey ist dieser Ansatz im Kern liberal: Wenn etwa ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 beschlossen würde, dann wisse die Wirtschaft, woran sie sei und könne entsprechende Investitionen und Entwicklungen tätigen. Laetitia Philippe betonte nochmals die Bedeutung der «freien» Forschung («bottom-up»), zeigte sich aber ihrerseits offen für neue missionsorientierte Ansätze. Sie verwies dazu auf einen entsprechenden Bericht des SWR, in dem unter anderem die Etablierung einer «Advanced Research Projects Agency» (ARPA) diskutiert wird.
Auch das heisse Eisen «Migration» wurde auf dem Podium angesprochen. Sabine Süsstrunk zeigte sich kritisch gegenüber einer Erhöhung der Studiengebühren für Ausländerinnen und Ausländer, wie dies für die ETH Zürich und die EPF Lausanne vorgesehen ist. Sie warnte vor angelsächsischen Verhältnissen, wo Studierende zehntausende Franken für das Studium investieren müssten. Süsstrunk wies auch darauf hin, dass in der Schweiz erfolgreiche und innovative Start-ups meist von Personen mit ausländischem Pass gegründet werden. Gerhard Andrey pflichtete seiner Vorrednerin im Grundsatz bei, gab aber zu bedenken, dass die Schweiz von hochqualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland profitiere (brain gain), damit aber anderen Staaten auch Ressourcen entziehe (brain drain). Zudem sei es zwar nachvollziehbar, aber eben auch problematisch, dass hochinnovative Start-ups oft von Grossfirmen mit Monopolstellung aufgekauft würden. Hier wünschte sich Andrey mehr Kooperation und nannte als Beispiel die Open-Source Community.
Schliesslich wurde auch noch der Dauerbrenner «Schweiz-EU» angesprochen. Laetitia Philippe verwies auf die laufenden Verhandlungen. Auf Nachfrage von Yves Flückiger fügte sie hinzu, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeiten des «Lobbyierens» von Wissenschaftsorganisationen beschränkt seien. Sabine Süsstrunk betonte, dass ein Forschungsprogramm wie Horizon Europe nicht einfach auf nationaler Ebene kopiert werden könne – denn letztlich wollten Forschende und Firmen sich auf internationaler Ebene dem Wettbewerb stellen und vernetzen. Gerhard Andrey ergänzte, dass die Schweiz auch ihre Vorteile als attraktive Partnerin zeigen müsse, die für die europäischen Partnerländer viel zu bieten habe.
Die Veranstaltung ging mit Fragen aus dem Publikum – unter anderem zum «ARPA»-Ansatz sowie den Möglichkeiten einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren – zu Ende. Yves Flückiger fasste die wesentlichen Ergebnisse nochmals pointiert zusammen: Das «Bijou» Schweizerisches Forschungs- und Innovationssystem gelte es zu erhalten – wobei bestehende Instrumente noch effizienter und koordinierter eingesetzt werden könnten. Und schliesslich sollte die Schweiz bei allem bisherigen Erfolg auch offen für neue Ideen sein.
Das Video der Veranstaltung finden Sie auf dem Youtube-Portal der Akademien.