Hans-Joachim Böhm zum Forschungsplatz Schweiz: «Wir profitieren von hervorragenden Universitäten und innovativen Firmen»

Hans-Joachim Böhm ist seit 2013 Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats SWR. Er war viele Jahre in der forschenden Industrie tätig, sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und den USA. Darüber hinaus ist er Titularprofessor für Bioinformatik an der Universität Basel und Gründer eines Start-ups.

Hans-Joachim Böhm, Sie verfügen über eine internationale Erfahrung in der Privatwirtschaft und kennen sich auch im Hochschulbereich aus. Was macht aus Ihrer Sicht die Stärke des Forschungsplatzes Schweiz aus?

Es gibt wesentliche Faktoren, die für den Forschungsplatz Schweiz sprechen. Dazu gehören hervorragende Universitäten, ETHs und Fachhochschulen sowie innovative forschende Privatunternehmen. Entscheidend ist, dass sowohl hochqualifizierte Arbeitskräfte aus der Schweiz als auch aus dem Ausland rekrutiert werden können. Dabei spielen die vergleichsweise hohen Löhne eine wichtige Rolle, aber auch die Lebensqualität und Infrastruktur. In Basel gibt es beispielsweise verschiedene internationale Schulen. Die Stärke der Schweiz spiegelt sich in den Innovationsrankings wieder, auch wenn diese mit Vorsicht zu geniessen sind und keinesfalls dazu verleiten sollten, sich auf den Lorbeeren auszuruhen.

Was man in diesem Zusammenhang manchmal vergisst aber nicht unterschätzen darf, ist die hohe Qualität des schweizerischen Berufsbildungsbildungssystems. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass ein Chemielaborant oder eine Biologielaborantin in der Schweiz top ausgebildet ist. In den USA hingegen hat die Berufslehre keinen so hohen Stellenwert.

Was sind die grössten gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen?

Eine grosse Herausforderung ist die momentan schwierige Beziehung zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Es ist sowohl für das Hochschulsystem als auch für die forschenden Firmen wichtig, dass hier eine gute Lösung gefunden wird. Das betrifft mich auch persönlich, da meine eigene Firma in Lörrach angesiedelt ist, also direkt an der Schweizer Grenze.

Darüber hinaus gibt es einen zunehmenden globalen Wettbewerb. So werden heute beispielsweise in China sehr gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgebildet. Das kann dazu führen, dass Fachkräfte aufgrund der hohen Lohnkosten aus der Schweiz ausgelagert werden. Allerdings steigen auch in China die Löhne an.

Und schliesslich gibt es natürlich die grossen sozioökonomischen und ökologischen Herausforderungen, etwa in den Bereichen Energie oder alternde Gesellschaft. Aber ich bin zuversichtlich, dass Schweizer Hochschulen sich entsprechend anpassen. Ich bin hingegen nicht der Meinung, dass der Staat hier eine grössere Lenkungsaufgabe übernehmen sollte. Es gibt ja bereits gute Förderinstrumente mit thematischen Schwerpunkten, etwa die Nationalen Forschungsprogramme des Schweizerischen Nationalfonds.

Sie sind Gründer und Geschäftsführer eines Start-ups im Bereich Life Science. Wie schätzen Sie in diesem Bereich die Rahmenbedingungen der Schweiz ein?

Die Rahmenbedingungen sind auch für Start-ups sehr gut, das höre ich auch in persönlichen Gesprächen. Es gibt hier eine gute Infrastruktur, Büros und Labore. Zudem hat die Finanzierung von Start-ups in der Schweiz stark zugenommen, vor allem in den Bereichen IT, Biotechnologie und Finance. Im Raum Basel sorgen die vielen grossen und kleineren Firmen für ein besonders gutes Ökosystem. Unternehmen wie Roche oder Novartis haben eigene Venture-Funds und können Start-ups finanzieren, auch in der Schweiz. Vielleicht ist es hierzulande noch etwas mühsamer als in den USA, grössere Anschlussfinanzierungen zu erhalten. Es mag sein, dass dies auch mit den eher zurückhaltenden Investitionen der Pensionskassen im Bereich Venture-Capital zu tun hat.

Als Mitglied der Schweizerischen Wissenschaftsrates haben Sie sich intensiv mit der Frage der Digitalisierung im Bildungsbereich beschäftigt. Was sind Ihre Erkenntnisse?

Die Digitalisierung gewinnt an Bedeutung, inhaltlich und methodisch. Es ist erfreulich, dass die Akteure im Bildungsbereich die Herausforderung angenommen haben. Als Schweizerischer Wissenschaftsrat haben wir uns im letzten Jahr insbesondere mit der Maturitätsreform auseinandergesetzt und dazu auch zwei Stellungnahmen und einen Bericht veröffentlicht. Am Gymnasium stellt sich die Frage, inwieweit das Fach Informatik gestärkt werden soll. Digitalisierung ist ja gleichzeitig eine Querschnittsaufgabe für alle Fächer. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Informatik als eigener Fachbereich wichtig ist. Als Naturwissenschaftler habe ich an der Grenze zwischen Biologie, Chemie und Informatik gearbeitet. Aufgrund dieser Erfahrung halte ich es für wichtig, Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, eine Programmiersprache zu lernen. Das stärkt das «Computational Thinking»1 was wiederum ein grosser Vorteil für das spätere Berufsleben sein kann. Ich hatte das Privileg, bereits in den 1970er Jahren als Gymnasiast Programmieren zu lernen. Dank dieser Fähigkeit konnte ich dann teilweise mein Studium finanzieren.

Natürlich spielt die Digitalisierung auch in der Berufsausbildung eine immer grössere Rolle. Solides Fachwissen ist nach wie vor wichtig, aber neue Ansätze, wie zum Beispiel die Verwendung von sehr grossen Datenmengen oder neue Vorhersageverfahren mithilfe von «Machine Learning» gewinnen an Bedeutung und führen zu einer Veränderung des Vorgehens bei der Arbeit und zwar sowohl für Akademikerinnen als auch für Laboranten.

Zu guter Letzt: Wie kann der Schweizerische Wissenschaftsrat SWR zu einer positiven Entwicklung des Schweizerischen Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem beitragen?

Der SWR soll ein Botschafter für die Wissenschaft sein und deren fundamentalen Bedeutung für die Schweiz betonen. Die Stärke des SWR ist seine Unabhängigkeit. Wir vergeben keine Gelder, was es uns erleichtert, eigene Interessen in den Hintergrund zu stellen. Als einzigartig empfinde ich zudem das breite Spektrum von Wissen und Kompetenzen im Rat. Ich bin als Naturwissenschaftler immer wieder überrascht, wie Ratsmitglieder aus anderen Disziplinen wie den Geistes- oder Wirtschaftswissenschaften, für mich bisher unbekannte Perspektiven einbringen. Dieser Austausch macht grossen Spass und ist für mich ein wichtiger Grund, im SWR tätig zu sein.

 

Computational Thinking» bezeichnet die Fähigkeit, wie ein Computer komplexe Sachverhalte in Teilprobleme zu gliedern, um Muster zu erkennen und entsprechende Lösungsansätze zu erarbeiten.

 

Auf diesem Blog geben die Mitglieder des Schweizerischen Wissenschaftsrates ihre persönliche Meinung wieder. Diese entspricht nicht notwendigerweise der Analyse oder der Haltung des Rates.