Treibhausgasemissionen nahe an „Tipping point“

Für SWR-Mitglied Gabriel Aeppli ist ein breit gefächerter Überblick an Massnahmen gegen den Klimawandel wichtig, denn es bleibt nicht mehr viel Zeit zu handeln. Ein Arbeitsdokument der SWR-Geschäftsstelle sorgt für Diskussion.

Wir kennen es seit unserer Kindheit: Prozesse, die lange keine grossen Konsequenzen haben, führen plötzlich zu Katastrophen. So füllt sich die Badewanne langsam und ruhig auf. Bis sie voll ist, und es plötzlich eine Überschwemmung gibt. Kurz vor dieser Wende greift man hektisch nach dem Wasserhahn, aber der lässt sich schwer drehen, oder er ist blockiert, weil vielleicht andere Menschen Spass am vielen Wasser haben… In diesem Fall sucht man alternative Mittel, die Überschwemmung zu bekämpfen. Man legt Badetücher um die Badewanne oder versucht, das Wasser dorthin zu leiten, wo es am wenigsten Schaden anrichtet.

Partially counteracting climate change in the short- to medium-term: options globally and for Switzerland. Analysis by Anthony Patt and Jean-Pierre Wolf conducted on behalf of the SSC Secretariat

Mit unseren Treibhausgasemissionen sind wir nun nahe bei einem solchen Wendepunkt („Tipping point“), nahe der katastrophalen Erwärmung [1]. Wesentlich dabei sind auch verstärkende „Feedback Loops“, durch welche die Erwärmung zu noch mehr Erwärmung führt [2]. Es gibt sehr viele Beispiele von solche „Loops“, die zu einer radikalen Beschleunigung der Erwärmung führen: Wir in der Schweiz kennen den Verlust von Schnee und Gletschereis als Folge der Erwärmung. Weniger Eis und Schnee reflektiert wiederum das Sonnenlicht weniger, die stärkere Absorption verursacht weitere Erwärmung. Das Problem wird zusätzlich verschärft durch die lange Lebensdauer von CO2 in der Atmosphäre. Denn auch wenn wir das Netto-Null-Ziel bei den CO2-Emissionen erreichen, werden solche „Feedback loops“ weiter laufen.

 

Es ist klar, dass der wichtigste Schritt zur Bekämpfung der Erderwärmung das Stoppen von CO2-Emissionen ist, durch Massnahmen aufgrund von direkter und indirekter (marktwirtschaftlicher) Regulierung. Doch wir stehen sehr nahe an einem Wendepunkt, bei dem die Konsequenzen dramatisch grösser sind als bisher beobachtet und wo auch ohne weitere Emissionen „Feedback loops“ zu einer rasanten Beschleunigung der Erwärmung führen. Daher müssen wir auch an Massnahmen denken, die kurzfristig das Klima regulieren können. Der Schweizerische Wissenschaftsrat SWR hat deshalb den Physiker Prof. Jean-Pierre Wolf (Universität Genf) und den Klimapolitologen Prof. Anthony Patt (ETH Zürich) beauftragt, mögliche Massnahmen zusammenzufassen, mit besonderer Berücksichtigung der Situation in der Schweiz.

 

Der Bericht beinhaltet eine Tabelle, die einen kompakten Überblick über den Stand des Wissens verschiedener Massnahmen gibt. Die Wirkungen dieser Massnahmen auf die globale Durchschnittstemperatur werden eingeschätzt und weitere Aspekte wie Risiken und die Implementierungszeit beschrieben.

 

Aus der Arbeit von Patt und Wolf folgt deutlich, dass der grösste Hebel zur Vermeidung einer unmittelbaren Klimakatastrophe die Verminderung der Methanemissionen ist. Das Thema wurde auch an der UNO-Klimakonferenz COP28 Ende 2023 in Dubai diskutiert. Für die Methanemissionen verantwortlich sind primär zwei Sektoren: Energie und Landwirtschaft. Im ersten Sektor gibt es vor allem Handlungsbedarf bei der Schliessung von Lecks bei der Öl- und Gasproduktion – insbesondere in Russland, USA und Iran [3]. Die Schweiz könnte aber im zweiten Sektor führend sein, da hierzulande viel Viehwirtschaft betrieben wird und Schweizer Unternehmen eine wichtige Rolle in der Agrochemie und der globalen Nahrungsmittelproduktion und -verteilung spielen.

 

Das neue Arbeitsdokument versucht, einen breit gefächerten Überblick von kurz- und mittelfristigen Massnahmen zu präsentieren. Ich hoffe, dass der Überblick Anstösse für Forschung, Wirtschaft und Politik bietet – auch wenn, wie Patt und Wolf darlegen, einige Massnahmen mit Vorsicht zu behandeln sind. Aber eben: Da wir ständig neue Rekorde erleben, bei der Temperatur, beim Verlust von Gletschereis (in der Antarktis, in Grönland aber auch in der Schweiz) und bei der Häufigkeit von Waldbränden, und sehr viele „Feedback Loops“ in der Klimatologie kennen, bleibt uns nicht viel Zeit zum Handeln.

 

[1] https://www.nature.com/articles/d41586-019-03595-0

[2] https://www.cambridge.org/core/books/climate-change-2021-the-physical-science-basis/earths-energy-budget-climate-feedbacks-and-climate-sensitivity/AE57C97E588FF3060C7C7E47DD4F3C6E

[3] https://www.iea.org/reports/global-methane-tracker-2022/overview