Wissenschaftliche Politberatung im Auge des Sturms

Artikel von Astrid Tomczak, erschienen im Februar-Newsletter der Akademien.

Bei der Bewältigung der Covid19-Pandemie nimmt die wissenschaftliche Politberatung eine wichtige Funktion ein. Doch wie kann sie gelingen? Diese Frage diskutierte ein Podium der Akademien der Wissenschaften Schweiz.

Noch kaum je stand wissenschaftliche Politberatung so im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit wie in den letzten Monaten – und stand auch immer wieder in der Kritik. Mitten in der zweiten Pandemiewelle im Dezember luden die Akademien der Wissenschaft Schweiz deshalb zum virtuellen «Science after Noon» zum Thema «Wie kann die Wissenschaft Politik beraten?». Mit Sabine Süsstrunk (designierte Präsidentin SWR-Rat), Susan Gasser (emeritierte Professorin und Mitglied im ETH-Rat) und Matthias Egger (Präsident des Schweizerischen Nationalfonds und bis Ende Juli 2020 Präsident der Swiss Science Covid Taskforce) hatte Moderator Marcel Tanner (Präsident der Akademien Schweiz und als Epidemiologe Mitglied der Taskforce) GesprächspartnerInnen, die aus eigener Erfahrung aus dem Vollen schöpfen konnten.

 

Ihnen allen sei es ein Anliegen, so hielt Marcel Tanner einleitend fest, dass «wir nicht nur akademische Akrobatik betreiben, sondern uns wirklich fragen, wie wir die Wissenschaft zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen können.» Tanner konfrontierte die Runde mit der Frage, welche bestehenden Mechanismen genutzt oder allenfalls eliminiert werden müssten, damit wissenschaftliche Beratung konkret wirksam werden kann. Sabine Süsstrunk definierte dazu drei Felder: Die Expertise beim Bund, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen und die krisenbedingte wissenschaftliche Unterstützung. Beim Bund gebe es zwar wissenschaftliche Kompetenz. «Die Frage ist, ob das reicht.» Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen wiederum sei gar kein wissenschaftliches, sondern ein hochbrisantes politisches. «Aber vielleicht könnten wir mal wissenschaftlich untersuchen, wo die Grenzen des Föderalismus in Zeiten der Krise liegen.» Der ad hoc eingesetzten wissenschaftlichen Covid-Taskforce stellte Süsstrunk ein gutes Zeugnis aus – stellte aber deren Zusammensetzung in Frage: «Jede Krise hat vielfältige Facetten. Zugespitzt könnte man also fragen, ob es zu viele Epidemiologen hat.»

Susan Gasser plädierte dafür, die wissenschaftliche Politberatung ständig zu etablieren. «Wir sollten nicht bis zu einer Katastrophe warten», betonte sie. «Wir können Risiken im Voraus evaluieren und für jedes Thema eine Liste von Topwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zusammenstellen.» Die Zusammensetzung der Covid-Taskforce sei demgegenüber eher zufällig. Seitens der Politik vermisste sie in der aktuellen Debatte die «wissenschaftliche Ehrlichkeit. Wenn eine politische Entscheidung getroffen wird, muss offen gelegt werden, auf welchen wissenschaftlichen Fakten sie basiert.» Diesen Gedanken griff Matthias Egger auf: «It takes both sides to build a bridge”, betonte er. Sowohl Wissenschaft wie auch Politik müssten bereit sein, sich aufeinander einzulassen und einander zuzuhören.» Diese Bereitschaft sei allerdings in der aktuellen Pandemie nicht von Anfang an vorhanden gewesen. «Wir mussten uns ja praktisch aufdrängen.» Zudem sei es schwierig «mitten in einer Krise einen Dialog zwischen Wissenschaft und Politik zu etablieren. Das kann fast nur schiefgehen.» Er gab zu bedenken, dass hier zwei Welten aufeinander prallen, denn: «Science is complex, decision making is messy. Das ist den Wissenschaftlern fremd.» Niemand habe je eine Entscheidung aufgrund einer Zahl getroffen, «selbst wenn diese Zahl «R» heisst.» Es gelte, den Leuten eine Story zu liefern – und diese Art der Kommunikation sei der Wissenschaft oft fremd.

Wie heikel diese Kommunikation zuweilen ist, hat Egger selbst erfahren, der als Präsident der Taskforce in den Medien einmal als «Leiter eines Panikorchesters» bezeichnet wurde. Dieser Titel bringt zum Ausdruck, dass in der Öffentlichkeit zuweilen der Eindruck entsteht, die Wissenschaft sei sich nicht einig. Diesen Punkt griff Susan Gasser auf: «In einer Krise ist es sehr wichtig, dass Regierung und wissenschaftliche Beratungsgremien mit einer Stimme sprechen und dass bei offiziellen Verlautbarungen ein Wissenschaftler zugegen ist.»

Letztlich herrschte bei allen Podiumsteilnehmenden Einigkeit darüber, dass die Wissenschaft nicht nur ad hoc in einer Krisensituation agieren sollte, und dass die Schweiz diesbezüglich Nachholbedarf hat: «Es fehlt ein wissenschaftliches Gremium, das direkt mit dem Bundesrat spricht. Diesen Dialog auf höchster Ebene, der in der Krise selbstverständlich zum Zug kommt müsste man etablieren und institutionalisieren», so Matthias Egger.

In der Diskussion wie auch bei den Fragen des Publikums zeigte sich deutlich, dass die Wissenschaft zwar grundsätzlich ein hohes Ansehen geniesst, aber in der Wissenschaftsommunikation noch Handlungsbedarf herrscht, insbesondere im Umgang mit der «Seuche fake news»; wie Egger sagte. « Da müssen wir den Mut haben rauszugehen und zu sagen: Das ist nicht belegt.» Sabine Süsstrunk betonte die Rolle der Medien in diesem Prozess:  «Es gibt immer weniger Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz. Dort könnte die Wissenschaft nachhelfen und den Journalistinnen und Journalisten erklären, wie wissenschaftliche Papers einzuordnen sind, damit nicht aufgrund eines Preprints ein Sensationsartikel publiziert wird.»

In der engagiert geführten Debatte kristallisierte sich als Fazit heraus, dass erfolgreiche wissenschaftlichen Politberatung von gegenseitigem Respekt getragen sein muss. In den Worten von Marcel Tanner: «Wir müssen begreifen, dass wir nicht auf einer Seite die science haben und auf der anderen irgendeine Politik, die entscheidet, Wir müssen mit- und voneinander lernen, um die wichtigen Probleme angehen zu können – mit unserem Wissen, aber auch mit dem Unwissen.