«Die grosse Katastrophe zu beschwören, bringt uns nicht weiter»

Adrienne Grêt-Regamey ist neu Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats SWR. Die Umweltwissenschafterin findet, die Schweiz stehe in der Verantwortung, Lösungen für die globale Umweltkrise zu finden.

Frau Adrienne Grêt-Regamey, Sie sind neu im Schweizerischen Wissenschaftsrat – Gratulation! Was erwarten Sie von Ihrem Einsitz im Gremium?

Ich freue mich auf vieles. Im Rat können wir Themen setzen und Strategien definieren, um den Dialog von Politik und Wissenschaft zu verbessern. Die Nachfrage nach Wissen und die Produktion von Wissen überlappen sich ja nicht immer, was zu Missverständnissen und Reibungen führt. Dazu können wir im Gremium gemeinsam Fragen entwickeln und Antworten suchen. Ich freue mich auch auf den interdisziplinären Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. In meinem Arbeitsalltag habe ich hauptsächlich mit Menschen aus meiner Disziplin zu tun. Gerne würde ich im Rat darüber nachdenken, welche Sprache wir brauchen für den Dialog von Wissenschaft und Politik.

 

Wie sähe diese Sprache aus?

Sie müsste dem konstruktiven Dialog dienen. Aus meiner Zusammenarbeit mit Bundesämtern kenne ich das Problem, dass zum Beispiel in Gesetzesvorlagen Begriffe stehen, von denen nicht klar ist, was sie in der Praxis bedeuten sollen. Sie sind wissenschaftlich unpräzis. Ihre Umsetzung muss dann ausgehandelt werden.

Adrienne Grêt-Regamey ist seit neuem Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats, Foto: Alessandro della Valle

Sie beschäftigen sich mit der Interaktion von Mensch und Umwelt. Einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen sehen den Planeten Erde am Abgrund angesichts der drohenden Katastrophe. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch. Ich glaube daran, dass wir mit innovativen Lösungen, die wir mit den Menschen vor Ort entwickeln, die richtigen Wege einschlagen können für eine gute Zukunft. Offen ist die Frage der Geschwindigkeit – wann brauchen wir Disruption und wie viel? Die grosse Katastrophe zu beschwören, bringt uns nicht weiter. Sicher aber stecken wir in einer Umweltkrise. Mit der Klimaerwärmung wird die soziale und ökonomische Ungleichheit global weiter zunehmen. Wir in der Schweiz werden wohl am wenigsten darunter leiden. Umso mehr stehen wir in der Verantwortung, Lösungen für die Krise zu finden. Wir müssen unser Verhalten verändern, und das geht mit der Änderung unserer Wertvorstellungen einher.

 

Wird in der Schweiz zu viel Land verbaut?

Ja, dieser Prozess geht schleichend voran. Wir errichten viel Wohnraum für Leute, die immer mehr Platz brauchen, und sind nicht bereit für Abbau und Rückbau. Dazu wälzen wir das Problem gerne auf die Zunahme der Bevölkerung ab, obschon unsere Gesellschaft mehr Leute und Arbeitskräfte braucht. Unser Lifestyle ist äusserst konsumorientiert. Wir brauchen auch viel Raum, weil die Lebenserwartung steigt und neue Familienmodelle verbreitet sind. Ich nehme mich an der eigenen Nase: Ich bemängle, dass der Raumverbrauch zu gross ist, aber meiner ist es auch. Auch ich bin da in einem Widerspruch gefangen.

 

An der ETH Zürich sind Sie in Kontakt mit Studierenden. Wie schätzen Sie die sogenannte Generation Z ein – ist sie wirklich so verunsichert, wie es immer wieder heisst?

Ich habe das Glück, dass ich in meinem Arbeitsgebiet auf junge Menschen treffe, die engagiert sind und anpacken wollen. Sie sind voller Hoffnung und überzeugt, dass sie die Entwicklung zum Besseren lenken können. Die Ausbildung zur Ingenieurin und zum Ingenieur, die wir an der ETH anbieten, kommt den Erwartungen der Studierenden entgegen. Sie lernen, Lösungen zu entwickeln, wie man zusammen den Raum besser planen und gestalten kann, etwa dass periurbane Räume Identität stiften oder dass mehr Grünflächen in Städten den sozialen Austausch fördern.

 

Traditionell hat der Ingenieur die Natur beherrscht. Bilden Sie an der ETH einen neuen Typus Ingenieur aus?

Ich glaube, die Bedeutung des Ingenieurs und der Ingenieurin für unsere Gesellschaft wird generell unterschätzt. Sie erarbeiten Lösungen, die funktionieren müssen, sie schmieden nicht nur Ideen und Pläne. Heute können die Lösungen vermehrt «nature-based» sein. Da findet tatsächlich ein Umdenken statt. Es ist am Ende des Tags der Ingenieur, der weiss, ob man die Strasse entsiegeln kann oder ob zusätzliche Bäume Platz haben oder nicht. Es ist die Ingenieurin, welche die Mobilitätsströme berechnet und neue Verkehrssysteme einführt.

 

 

Adrienne Grêt-Regamey ist Umweltwissenschaftlerin an der ETH Zürich und Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats SWR. Sie studierte am Departement für Umweltwissenschaften der ETH Zürich und erwarb 1999 das Lehrdiplom für Biologie und Umweltwissenschaften. Anschliessend arbeitete sie in den USA im Bereich Umwelthaftung und schrieb dann ihre Dissertation am National Center of Atmospheric Research zur Inwertsetzung von Ökosystemleistungen. 2007 nahm sie an der ETH Zürich eine Stelle als Postdoktorandin an, 2008 wurde sie ausserordentliche Professorin am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich, ab 2014 ordentliche Professorin für die Planung von Landschaften und Urbane Systeme (PLUS). Sie untersucht, wie die Wechselwirkungen des Menschen mit ihrer Umwelt die Landschaft prägen und umgekehrt, wobei sie mit digitalen Mitteln partizipative Prozesse fördert.