Es braucht robuste Prozesse

SWR-Mitglied Susanna Burghartz diskutiert mit dem Energieökonomen Hannes Weigt (UniBS) über die Bedeutung der Sozial- und Geisteswissenschaften im Kampf gegen den Klimawandel.

Susanna Burghartz: Herr Weigt, als Leiter des neu aufgelegten Programms SWEET CoSi (Co-Evolution and Coordinated Simulation of the Swiss Energy System and Swiss Society) sehen Sie es als wichtige Aufgabe an, „die Forschungsergebnisse aus den Sozial- und Geisteswissenschaften (Social Sciences and Humanities, SSH) mit der bisher vornehmlich ingenieurstechnisch geprägten Welt der Energiemodellierung zu verknüpfen“. Welche Rolle sehen Sie konkret für die SSH in der vertieften Diskussion, die das Working Paper von Patt/Wolf für verschiedene kurz- bis mittelfristig wirksame technologische Massnahmen gegen den Klimawandel fordert?

Partially counteracting climate change in the short- to medium-term: options globally and for Switzerland. Analysis by Anthony Patt and Jean-Pierre Wolf conducted on behalf of the SSC Secretariat

Hannes Weigt: Wie die Autoren in ihrer Analyse festhalten, ist neben den rein technischen Möglichkeiten zur Abkühlung insbesondere die internationale Zusammenarbeit für den Erfolg (oder Misserfolg) unserer Klimamassnehmen entscheidend. Das Paper klammert dabei bewusst die konventionellen Klimaschutzmassnahmen aus, da diese als Grundvoraussetzung gesehen werden. Aber insbesondere die Erfahrungen mit dem Umbau unseres Energiesystems zeigen, dass die reine Verfügbarkeit technischer Lösungen noch nicht automatisch zu deren Implementierung führt. Neben der klassischen Akzeptanzfrage (Stichwort: NIMBY) sind es v.a. Fragen der Verteilung von Lasten und Gewinnen; damit verknüpfte Gerechtigkeitsfragen zwischen den verschiedenen Akteuren, Regionen und Generationen; Fragen zu verschiedenen politischen Massnahmen und auch der Umsetzung innerhalb verschiedener politischer Systeme; regulatorische und juristische Restriktionen und notwendige Anpassungen; Fragen zu veränderten Geschäfts- und Kooperationsmodellen; und das alles auf regionaler, nationaler, und internationaler Ebene.

S.B.: Sie heben die Vielfalt an Themen und Fragestellungen hervor, die ohne den Beitrag der SSH nicht angemessen wissenschaftlich diskutiert werden können. Gibt es spezifische Fragestellungen und Methoden dieser Disziplinen, die Sie für besonders wichtig halten, um bei der raschen Implementierung von effizienten und ökonomisch und sozial verträglichen Massnahmen entsprechende Fortschritte zu machen?

H.W.: Meine Erfahrung bezieht sich vornehmlich auf den Umbau unseres Energiesystems und die damit verknüpften Szenarien-Analysen. Diese beantworten meist die eher technisch orientierte Frage, welche zukünftigen Energiesysteme möglich sind; also z.B. welche Anteile von Photovoltaik, Wind, Batterien, Wärmepumpen und so weiter. Aus ökonomischer Sicht werden meist die reinen Kosten und aus sozialwissenschaftlicher Sicht gegebenenfalls noch Akzeptanzaspekte mit aufgenommen; die anderen oben genannten Fragen werden hingegen selten thematisiert.

Hier ist es sinnvoll und wichtig, den Prozess anzupassen und die oben genannten Dimensionen von Anfang an mitzudenken und einzubauen. Das erfordert dann natürlich einen anderen Szenarienprozess und vor allem auch angepasste und andere Modelle und Methoden. In CoSi werden wir versuchen, dafür gangbare Wege zu finden.

Ein weiterer zentraler Punkt dabei ist es, das eigentliche Ziel dieser Szenarien nicht aus den Augen zu verlieren: Wir wollen nicht nur wissen welche Zukunftswelten möglich sind, sondern auch welche wir eigentlich erreichen wollen und wie wir dahin kommen. Und dafür kann es hilfreich sein, sich von der alten Szenarien-Struktur zu verabschieden.

Statt einer Handvoll technisch optimale Punktlösungen zu finden, die unter den jeweiligen Szenarien-Annahmen und Modellstrukturen gelten, gilt es, robuste Lösungen zu finden. Sie sollen unter einer breiten Variation der Annahmen, was technische und sozio-ökonomische Entwicklungen angeht, und unter verschiedenen Modellen gute Ergebnisse erzielen. Das bedeutet einerseits ein zukünftiges Energiesystem, das resilient gegenüber einer Vielzahl möglicher Entwicklungen und Krisen ist und uns nicht in problematische Pfadabhängigkeiten führt, andererseits aber sollen eben auch die dafür notwendigen Umbauentscheidungen ‘robust’ sein. Wir brauchen also technisch, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich robuste Prozesse, die umsetzbar sind und uns effektiv voranbringen.

Prof. Dr. Hannes Weigt, Copyright: unibas.ch

S. B.: Heisst das aus Ihrer Sicht konkret, dass wir aktuell für erfolgversprechende Transformationspfade und Massnahmen in Bezug auf Klimaschutz zuwarten müssen, bis neue robuste Lösungen definiert sind?

H. W.: In Bezug auf den Umbau unserer Energiesystems, aber auch bei den im Working-Paper präsentierten technologischen Massnahmen gegen den Klimawandel gilt: wir haben schon einen umfangreichen Pool an möglichen Lösungen. Weiteres Warten auf noch bessere oder allerbeste Lösungen, den nächsten grossen Durchbruch oder weitere Verbilligungen der ein oder anderen Option hilft uns nicht. Robuste Klimapolitik heisst auch, mit den verfügbaren Möglichkeiten vorwärts zu gehen und diese sinnvoll zu kombinieren. Dabei ist Wissen über die technischen Möglichkeiten (also z.B. Futterzusätze für eine methanarme Rinderverdauung) genauso wichtig wie solches über nicht-technische Entwicklungen (also z.B. Veränderungen unserer Essgewohnheiten). Denn nur so können wir gut abschätzen, was heute schon zu machen ist, wer und was davon in welcher Art und Weise betroffen ist, und was wir uns dadurch an Lösungen für Morgen verbauen oder ermöglichen.

Wir haben schon jetzt einen enormen Wissensschatz. Die grösste Herausforderung liegt daher eher darin, jetzt möglichst klug und angemessen vielfältig und komplex zu handeln und dieses Handeln im Zuge des Transformationsprozesses immer wieder gesellschaftsverträglich an neue Erkenntnisse und Erfahrungen anzupassen.