Keine vollkommen unabsehbaren Risiken eingehen

Für SWR-Mitglied Hans-Joachim Böhm ist „Solar Radiation Management“ zu gefährlich und sollte nicht weiter verfolgt werden. Ein Arbeitsdokument der SWR-Geschäftsstelle sorgt für Diskussion.

Die globale Erderwärmung ist eines der wichtigsten Probleme, dem wir uns derzeit stellen müssen. Hauptursache für die anhaltende Erwärmung ist die hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre und die nach wie vor sehr hohe Erzeugung von CO2 durch die Verwendung fossiler Energiequellen. Daher ist das mit Abstand wichtigste Ziel, die Erzeugung von weiterem CO2 zu verhindern; vor allem durch einen Stopp der Verwendung von fossilen Brennstoffen und massiv verstärkte Nutzung von Solar-, Wind- und Wasserenergie.

Partially counteracting climate change in the short- to medium-term: options globally and for Switzerland. Analysis by Anthony Patt and Jean-Pierre Wolf conducted on behalf of the SSC Secretariat

Leider waren die Versuche, die Erzeugung von CO2 zu reduzieren, bisher nicht sehr erfolgreich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Ideen diskutiert werden, unabhängig von der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die Temperatur auf der Erde zu reduzieren.

Ich war überrascht, dass „Solar Radiation Management“ (SRM) nach wie vor von einigen Wissenschaftlern ernsthaft in Erwägung gezogen wird [1]. Ein Plan sieht vor, grosse Mengen von Schwefeldioxid in der oberen Atmosphäre auszubringen. Dieses wird dann zusammen mit Wasser in Schwefelsäure umgewandelt und bildet Aerosole, die Sonneneinstrahlung reduzieren und dadurch die Temperatur auf der Erde mindern sollen. Der Plan geht auf Beobachtungen nach dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 zurück, beim dem grosse Mengen SO2 in die obere Atmosphäre gelangten und dann für kurze Zeit für eine Reduktion der Temperatur auf der Erde sorgten.

Es ist für mich als Chemiker und Naturwissenschaftler nicht nachvollziehbar, dass solche Ideen immer noch ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Die bei einem solchen Vorgehen in grossen Mengen freigesetzte SO2 und die entstehende Schwefelsäure sind in grossen wie auch in sehr kleinen Konzentrationen giftig für Menschen, Tiere und Pflanzen. SO2 ist ein wesentlicher Bestandteil der Luftverschmutzung in vielen grossen Städten [2]. Die Schwefelsäure landet früher oder später in Form von saurem Regen wieder auf der Erde [3]. Der Effekt von saurem Regen war über Jahrzehnte in vielen Regionen Europas in Form von grossflächig abgestorbenen Wäldern zu beobachten. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Ausstoss von Schwefeldioxid aus Kohlekraftwerken in vielen Ländern durch technische Massnahmen stark reduziert worden. Es wäre tragisch, wenn diese notwendige und richtige Reduktion der SO2-Ausstosses jetzt durch den absichtlichen Eintrag von SO2 in die Atmosphäre wieder zunichte gemacht würde.

Befürworter von SRM führen als Argument an, dass die für den Kühleffekt notwendige Menge in Schwefeldioxid relativ gering ist. Meine persönliche Position hierzu ist: Schwefeldioxid und Schwefelsäure haben in der Atmosphäre nichts verloren, weder in hohen noch in niedrigen Konzentrationen. Zudem ist klar, dass bei weiter ansteigender CO2-Konzentration in der Atmosphäre dann auch die Menge des auszubringenden Schwefeldioxids immer weiter erhöht werden müsste. Es ist auch so, dass das Ausbringen von SO2 über eine sehr lange Zeit immer wieder aufs Neue durchgeführt werden müsste, da der Effekt jeweils nur kurz ist.

Simulationen legen nahe, dass der Effekt auf der Erde nicht überall gleich sein wird. In einigen Regionen würde es kühler werden, während es in anderen Regionen noch wärmer werden würde. Es würde also global Gewinner und Verlierer geben [1]. Klimaforscher haben zudem auf weitere gefährliche negative Auswirkungen hingewiesen [4, 5]. Befürchtet wird zum Beispiel eine Verschiebung der Niederschlagsmuster in den Tropen, mit verheerenden Folgen für die Landwirtschaft in besonders armen Ländern, die kaum CO2 ausgestossen haben.

Klimaforscher haben zudem darauf hingewiesen, dass Schwefelsäure die Ozonschicht angreift und dadurch die Fähigkeit der Atmosphäre reduziert, andere Treibhausgase wie Methan abzubauen [4].

Es muss auch bedacht werden, dass bei einem Experiment, das den möglichen Effekt des Ausbringens von SO2 in die Atmosphäre auf das Klima untersucht, die entstehende Schwefelsäure ja nicht genau da wieder auf die Erde zurückkommt, wo sie ausgebracht wurde, sondern sich schnell verteilt und dann auch in Ländern und Regionen in Form von saurem Regen niederkommt, die das Experiment weder durchgeführt noch gutgeheissen haben.

Ich habe mit Klimaforschern geredet, viele Forscher angehört und Publikationen gelesen. Aus meiner Sicht ist es klar, dass die Risiken von SRM riesengross und vollkommen unabsehbar sind, während der Nutzen fragwürdig ist. In Zusammenhang mit SRM ist schon der Begriff „Frankenstein-Experiment“ verwendet worden.

Eine zunehmende Anzahl von Klimaforschern setzt sich dafür ein, keine Experimente auf diesem Gebiet zuzulassen. Es gibt hierzu einen von einer grossen Anzahl von Klimaforschern unterstützten Vorschlag, Experimente zu SRM zu untersagen: „Solar geoengineering: The case for an international non-use agreement“ [6]. Ich hoffe, dass sich auch in der Schweiz immer mehr Wissenschaftler diesem Aufruf anschliessen werden.

Wir müssen uns darauf konzentrieren, den CO2-Ausstoss in die Atmosphäre zu reduzieren. Das ist mit Abstand das wichtigste Ziel zur Lösung der Klimakrise.

 

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Solar_geoengineering

[2] H. Kan et al., Short-term association between sulfur dioxide and daily mortality: the Public Health and Air Pollution in Asia (PAPA) study https://doi.org/10.1016/j.envres.2010.01.006

[3] https://www.epa.gov/acidrain/what-acid-rain

[4] L. Marshall et al., Volcanic effects on climate: recent advances and future avenues https://doi.org/10.1007/s00445-022-01559-3

[5] https://ca1-clm.edcdn.com/assets/climateanalytics_srm_brief_dec_2018.pdf

[6] F. Biermann et al., Solar geoengineering: The case for an international non-use agreement https://doi.org/10.1002/wcc.754